Digitale Filmreihe: Zukunft(s)gestalten – Mensch.Stadt.Moderne

Filmabend „Slums: Cities of Tomorrow“

Ein Bericht von Louisa Osburg (BEI)

Am 25.11.2020 lud das Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein zusammen mit dem Transformativen Denk-und Machwerk aus Flensburg zur Auftaktveranstaltung der digitalen Filmreihe „Zukunft(s)gestalten – Mensch.Stadt.Moderne“ ein. Anfangs als Präsenzveranstaltung in Flensburg geplant, musste das Programm für die Einhaltung der Landesverordnung zur Bekämpfung des Coronavirus in ein Online-Format umgewandelt werden, wodurch es jedoch erfreulicherweise auch viele interessierte Gäste außerhalb Flensburgs erreichte.

Unser Referent Dr. Hiram Souza Fernandes (Landeshauptstadt Schwerin, Fachdienst Stadtentwicklung und Wirtschaft) eröffnete die Runde mit den Leitfragen >>Was sind informelle Siedlungen? Was beinhaltet die Recht-auf-Stadt-Bewegung hier bei uns und im globalen Süden? Wie lassen sich die Ansätze mit den SDGs verbinden?<< und erzählte in seinem Impuls von persönlichen Eindrücken als jahrelanger Lehrer und Einwohner Salvadors, der drittgrößten und von starker Armut geprägten Stadt Brasiliens. Der traurige Ruf Brasiliens als „Land voller Gegensätze“ ist in Salvador in besonderem Maße zu beobachten. Während manche brasilianische Viertel nur so vor Wohlstand protzen, leben in Salvador vier von zehn Haushalten in sogenannten „Favelas“ (engl. Slums). Die in den informellen Siedlungen bzw. improvisierten Unterkünften herrschende Infrastruktur konfrontiert die Einwohner tagtäglich mit unzumutbaren Lebensbedingungen. Mangelhafte Zustände in der Abwasser-und Müllentsorgung sind hier nur Beispiele für die Beschreibung der alltäglichen Wohnsituation.

Im Allgemeinen ist die Entwicklung der Elendsviertel Ausdruck der Unfähigkeit seitens der Regierungen und sollte genug Denkanstoß für eine intensivere Auseinandersetzung über bestehende und entstehende Ungleichheiten bieten. Obwohl die Globalisierungsprozesse und die damit verbundenen internationalen Vernetzungen durch ihre Zusammenarbeit vielerorts seit den 1990er Jahren zur Befreiung von Armut geführt haben, wird noch zu wenig darauf aufmerksam gemacht, wie viele Milliarden Menschen nach wie vor täglich um ihr Überleben kämpfen. Im Jahr 2018 lebten rund 8,6% der Weltbevölkerung unter extremen Armutsbedingungen. In Subsahara-Afrika haben im Jahr 2018 sogar mehr als 5% der Bevölkerung von weniger als 1,90 USD pro Tag gelebt (Quelle: UN 2019 – The Sustainable Development Goals Report). Der einstige brasilianische Geograph Milton Santos sprach 1999 von der Notwendigkeit einer anderen Form von Globalisierung („Por uma outra globalização“, dt.: Für eine neue Globalisierung) und verglich die aktuelle aufgrund ihrer Blendung mit einem Märchen.

Reflektiert man die genannten Gegebenheiten, sollte das Recht auf Stadt ebenfalls als Menschenrecht betrachtet werden, für das mit Einsatz gekämpft wird. Neben Menschenrechten wie zum Beispiel dem Recht auf Freiheit, Gleichheit oder Bildung spielen auch der bezahlbare, angemessene Wohnraum sowie die Mobilität, die Stadtökonomie, die Möglichkeit für Freizeitaktivitäten und die generelle Grundversorgung bzw. Infrastruktur eine entscheidende Rolle als Träger für ein menschenwürdiges Leben. In seiner früheren Forschungsarbeit „Recht auf Stadt in Deutschland und in Brasilien am Beispiel von Hamburg und Recife“ stellte Dr. Hiram Souza Fernandes nochmals den deutlichen Unterschied zwischen dem Kampf um ein besseres Leben in der Stadt und dem Kampf ums nackte Überleben gegenüber und betont soziale Bewegungen (Vereine, Initiativen, NGOs, Gruppen, usw.) als wichtiges Konzept der brasilianischen Bevölkerung im Einsatz für ihre Rechte.

 

 

Slums – ein bitteres Thema, das durch das von den Vereinten Nationen gefasste 11.Nachhaltigkeitsziel „Nachhaltige Städte und Gemeinden“ sowie den Anspruch des Leave no one behind (dt.: Lass niemanden zurück) die Chance bekommt, endlich tiefer beleuchtet und behandelt zu werden. Entscheidend hierfür ist jedoch die Einbeziehung von Bürgerbewegungen und städtischen Akteuren sowie eine Verstärkung der Beteiligungskultur.

Indien, Marokko, Frankreich, New Jersey und Québec – Der Dokumentarfilm „Slums: Cities of Tomorrow“ von Jean-Nicolas Orhon zeigt informelle Siedlungen weltweit und erzählt persönliche Geschichten der dort lebenden Menschen. Dabei wird jedoch nicht nur ein düsteres Bild von Slums gemalt, sondern auch ein anderer Blickwinkel ins Visier genommen: Informelle Siedlungen als Orte sozialer Gemeinschaften, die auf Kooperation beruhen.

Im Anschluss an den Film wurde im virtuellen Kinosaal der Anstoß zum freien Austausch gegeben. Der Film stellte deutlich heraus, dass Slums nicht nur ein Ort, sondern ein Phänomen darstellen. Man kann sie nicht ohne weiteres wegräumen und gegen schöne Siedlungen eintauschen. Die Viertel sind Dach und Lebensmittelpunkt vieler Familien, sie sind geprägt von individuellen Lebensgeschichten und Menschen, die sich eine andere Unterkunft nicht leisten könnten. Die Dokumentation macht deutlich, dass das Thema um informelle Siedlungen keineswegs schwarz-weiß zu sehen ist. Eine einseitige Stigmatisierung trifft die Lebensrealität der Menschen nicht. Das Leben dort ist weniger durch Elend als vielmehr durch Illegalität geprägt, die es, auch mit Blick auf das Erreichen des Ziels 11 der Agenda 2030, auszuhebeln gilt. Dafür braucht es Urbanisierungsprogramme, die informelle Siedlungen legalisieren, an staatliche Dienstleitungen (Strom, Abwasser, Bildung usw.) anbinden und so das Menschenrecht auf Wohnen gewährleisten.

Doch wie werden Slums gleichberechtigter Teil von einer Stadt? In Rio de Janeiro befinden sich die Slums im Zentrum, d.h. hier sind sie bereits von der Lage her stark mit der Stadt verbunden. In anderen Städten Brasiliens sind es beispielsweise Projekte, die die Würde und das Recht auf die Teilnahme im Stadtgeschehen fördern. So ermöglicht zum Beispiel das Projekt Neojibá in Salvador/ Bahia das Mitwirken im Orchesterunterricht, womit sogar schon europaweit getourt wurde (Link für weitere Infos: https://www.neojiba.org/index.php?lang=en). Erwähnung im Thema möglicher Projekte fand auch das Seilbahn-Projekt in Rio de Janeiro, das zu mobilen Zwecken für die Olympia 2016 entwickelt, aber nicht mehr weiterfinanziert werden konnte und für starke Unruhen sorgte. Auch wenn der Wunsch nach nationaler Entwicklung besteht, sollten Projekte also stets vorausschauend durchdacht und besonders mit Rücksicht auf das nachhaltige Wohl der einheimischen Bevölkerung geplant werden.

Wir danken unserem Referenten und allen interessierten Gästen für ihre Teilnahme und wertvollen Beiträge. Die im Film erwähnte Aussage „das was heute die Slums sind, sind in ein paar Jahren die Stadtviertel“ schlägt eine gute Brücke zum nächsten Filmabend unserer digitalen Filmreihe. Am 02.12.2020 thematisiert der Film „The Human Scale“ von Andreas Dalsgaard fehlgeleitete städtische Entwicklungen bei uns im globalen Norden sowie im globalen Süden und zeigt auf, welche Bedeutung es für die Lebensqualität hat, die Menschen (wieder) in den Mittelpunkt der Stadtplanung zu rücken.

 

(Bildquelle: Walter Firmo)

Veranstalter:
Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V. (BEI), Transformatives Denk-und Machwerk e.V.

Die Veranstaltung war Teil des SDG-Jahresthemenprogrammes „Die Sustainable Development Goals (SDG) in Schleswig-Holstein – Nachhaltigkeit auf dem Prüfstand“ des BEI, in Kooperation mit dem Transformatives Denk-und Machwerk e.V., gefördert durch Engagement Global mit finanzieller Unterstützung des BMZ, BINGO! Die Umweltlotterie, den Katholischen Fond sowie den Kirchlichen Entwicklungsdienst der Nordkirche (KED).

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